Das performative Haus –

die Projektentwicklung im Interview

 

 

Das performative Haus, entworfen vom Zürcher Architekturbüro Edelaar Mosayebi Inderbitzin (EMI), wurde im Dezember 2022 durch das Hochparterre mit dem Goldenen Hasen ausgezeichnet. UTOREM hat im Auftrag der Eigentümerschaft das Projekt entwickelt, bauherrenseitig gesteuert und die spannende Reise mit dem experimentellen Gebäude bewusst gewählt. Dies trotz des zentralen Orts inmitten von Zürich, der auch mit konventionellen Wohnformen erfolgreich hätte gefüllt werden können. Welche Überlegungen führten zu dieser abenteuerlustigen Entscheidung und wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit EMI? Yves Rogger, der verantwortliche Projektentwickler von UTOREM, erzählt vom Prozess.

 

 

 

Welche Ausgangslage führte zum Konzept des performativen Hauses?

 

Die Bestandesliegenschaft aus den 60er Jahren wurde 2019 für unsere Mandantin moyreal immobilien ag mit der Anlagestrategie akquiriert, im Mietwohnungssegment mit nachhaltiger Rendite zu investieren. Die Immobilie war gemischt genutzt mit Gewerbe, Büro und Wohnungen, wobei die Grundrisse, die Haustechnik und die Gebäudehülle nicht mehr den heutigen Ansprüchen gerecht wurden. Die Gebäudeanalyse hat zudem ergeben, dass eine Sanierung des in Massivbauweise erstellten Gebäudes, die vorhandenen Ausnützungspotenziale nicht hätte zielführend ausschöpfen können. Daher entschlossen wir uns für einen Teilneubau. Die Bestandstruktur wurde, zugunsten der Einsparung grauer Energie, nur bis auf die beiden Untergeschosse rückgebaut. Auf diesen Untergeschossen wurde dann der Holzbau erstellt.

 

Das Konzept für das Performative Haus basiert auf unserer Produktedefinition. Prinzipiell beabsichtigen wir die Entwicklung resilienter Immobilien, die sich in die Mikrolage einbetten und sich an hohen Massstäben betreffend Baukultur sowie Nachhaltigkeit orientieren. Die Resilienz erreichen wir, indem wir für eine spezifische Mieterschaft ein geeignetes Angebot schaffen. An der Stampfenbachstrasse 131 beabsichtigten wir, kompakte Mietwohnungen für individualistische, städtische Ein- bis Zweipersonenhaushalte zu entwickeln – die sogenannten digitalen Kosmopoliten: minimalistisch, mobil, in wechselnden Beziehungen mit wechselnden Wohnorten.

 

Weil sich das Performative Haus von generischen Wohnbauten deutlich absetzt, könnte es als risikofreudige Investition interpretiert werden. Jedoch ist der experimentelle Charakter das Resultat fundierter Analysen sowie bewusster Entscheidungen während eines intensiven Entwicklungsprozesses.

 

 

Wie seid Ihr auf das Architekturbüro EMI gekommen?

In unseren Entwicklungsprozessen arbeiten wir üblicherweise mit Architekturwettbewerben in Konkurrenz. Aufgrund der überschaubaren Projektgrösse mit rund 30 Mietwohnungen, entschieden wir uns jedoch für einen Direktauftrag an Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten AG. Wir hatten bereits bei unserem Neubauprojekt MinMax in Glattpark-Opfikon eine erfolgreiche Zusammenarbeit und wussten, dass EMI mit viel Enthusiasmus neue Wohntypologien entwickelt. Wir dachten, die erneute Zusammenarbeit könnte sehr spannend werden – und das wurde sie auch.

 

Die Zusammenarbeit weitete sich dann aus auf den Lehrstuhl von Eli Mosayebi an der ETH Zürich. Diese ist entstanden, weil dieser zeitgleich an wandelbaren Wohnungen, dem sogenannten performativen Wohnen, forschte. Die Architekten haben uns bereits zu Beginn der Vorstudie ein Konzept für die wandelbaren Wohnungen vorgeschlagen, welches dann kontinuierlich weiterentwickelt wurde.

 

 

 

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit EMI und dem Lehrstuhl der ETH?

Wir begannen mithilfe von Workshops Ideen und Konzepte zu entwickeln. Da wir wenig konkrete Referenzen oder Erfahrungswerte hatten, wie sich die dreh- und schiebbaren Elemente im Rahmen der Nutzungsdauer verhalten würden, entschlossen wir uns bereits während des Vorprojekts all diese Elemente in einer Musterwohnung zu testen. Zu diesem Zweck wurde unter der Leitung des Lehrstuhls von Eli Mosayebi ein Mock-Up im Massstab 1:1 auf dem Dach des HIL-Gebäudes der ETH Hönggerberg erstellt und erforscht. Das war eine Win-Win-Situation: Wir erhielten Forschungsresultate für das zu konkretisierende Projekt und der Lehrstuhl die Unterstützung durch private Bauträger sowie die Möglichkeit, die Erkenntnisse aus der Forschung zu realisieren.

 

Die Musterwohnung wurde über 19 Monate von 87 Testpersonen für jeweils eine Woche bewohnt. Dabei wurden das Wohnverhalten und die mobilen Elemente – drehbare Wand, Schrank und Lampen – mittels Sensorik gemessen. Die Resultate und Erkenntnisse sind dann in die Projektierung eingeflossen. Das Mock-Up hat uns aufgezeigt, was gut und was nicht so gut funktioniert: Drehen die Auflager noch, wenn die Wand oder der Schrank tausendfach gedreht wurde? Wie werden die drehbaren Elemente verwendet? Wie wird in der Wohnung gelebt?

 

Dabei muss man beachten, dass die Testbewohner waschechte Wohnpioniere waren. Sie waren überdurchschnittlich motiviert und sehr aufgeschlossen. Ob das auch auf die jetzige Mieterschaft nachhaltig zutrifft, wird sich zeigen.

 

 

Stellte diese Zusammenarbeit einen grösseren Kosten- oder Zeitfaktor für das Projekt dar?

Die Zusammenarbeit mit der ETH gab uns die Möglichkeit, das Wohnkonzept über drei Semester erforschen und testen zu lassen. Diese Testphase lief aber parallel zur Projektierung und gab uns Sicherheit in konzeptionellen und technischen Fragen. Die Zusammenarbeit war in diesem Sinne eine grosse Bereicherung und wurde nicht als Verzögerung wahrgenommen. Der finanzielle Beitrag betraf vor allem die Finanzierung der Musterwohnung, an der sich aber auch weitere Partner beteiligten und die früh ins Projekt eingepreist wurde.

 

 

Widerspricht dieser sehr spezifische Zielgruppenansatz nicht dem vielgehörten Ruf nach maximaler Flexibilität und Variabilität eines Gebäudes?

Die Entwicklung eines spezifischen Produkts, welches die Bedürfnisse der Mieterschaft präzise abbildet, kann als Immobilie gleichzeitig auch flexibel oder variabel sein. Diese Charaktereigenschaften sind meiner Meinung nach nicht zwingend widersprüchlich. In unserem Projekt können zum Beispiel die drehbaren Elemente und auch die liegenden Schränke bei Bedarf entfernt werden und Raum bieten für neue Wohnansprüche. Dass ein Maximum an Flexibilität oder Variabilität nicht in generischer oder gar beliebiger Belanglosigkeit mündet, die keine Mieterschaft anzusprechen vermag und dadurch in Leerständen mündet, ist eine Kernaufgabe des Entwicklers. Er hat dafür zu sorgen, dass die Immobilie die spezifischen Mietergruppen optimal und nachhaltig bedienen.

 

Beim Performativen Haus wollten wir uns bewusst vom umliegenden Wohnangebot absetzen. Wir beabsichtigten, die Entwicklung kompakter, städtischen Kleinwohnungen, welche sich den individuellen und wechselnden Bedürfnissen der Bewohner anpassen können. Wir wollten keine generischen Einraum-Studios, die sich wie Schläuche zwischen den Fassaden aufspannen. So ist die Idee der wandelbaren Wohnung entstanden. Dabei ist die Struktur, also die tragenden Wände und Decken sowie die Vertikalerschliessung, nicht flexibel konzipiert, doch aufgrund der überschaubaren Projektgrösse mit insgesamt 30 kompakten Mietwohnungen und einer ressourcenschonenden Holzbauweise, war dies auch keine Voraussetzung. Uns hat in diesem Projekt viel mehr das individuelle Bedürfnis nach wandelbaren Räumen, also eine stetige räumliche Variabilität, interessiert. Die zentrale, drehbare Wand ermöglicht verschiedene Raumsequenzen und ersetzt den klassischen Korridor und Zimmertüren. Wenn ich Besuch bekomme, kann ich den Schlafbereich abtrennen. Wenn die Freundin oder der Freund vorbeikommt, kann ich die Küche schliessen und den Raum zum Schlafzimmer hin erweitern. So gibt es viele Raumsequenzen mit nur einer einzigen Wand. Zudem sollten die Wohnungen bis zur Lampe möbliert sein und das Umziehen der urbanen Mieterschaft erleichtern. Deshalb sind die Podeste vor den Fenstern, gleichzeitig liegende Einbauschränke.

 

 

Kann man Stadien in der Entwicklung identifizieren, in denen wesentliche Entscheide gefallen sind?

Die wesentlichen Entscheidungen sind früh gefallen. Zu Beginn der Umgang mit dem Ort, die Ecke einer Blockrandbebauung: Strassen an zwei Aussenseiten und die daraus resultierenden Lärmgrundrisse. Diese Thematik mussten wir zeitig in den Griff bekommen. Auch das Profil der zukünftigen Mieter stand zu Beginn der Projektierung fest. Im Gegensatz dazu waren Planung und Realisierung ein stetiger Prozess. Das Performative Haus ist meiner Meinung nach eine Erfindung, deshalb verfügten wir über wenige Referenzen und mussten alle Bauteile neu denken. Zudem erforderten die Ausschreibung und Erstellung inmitten der Corona-Pandemie viel Flexibilität aller Beteiligten. Das Performative Haus ist das Resultat einer herausragenden Teamleistung.

 

 

Welche Bedeutung hat das Projekt für Euch jetzt im Portfolio?

Während der Entwicklung haben wir bei diesem Projekt viel Neues dazu gelernt. Es wurde nicht nur projektiert und geplant, sondern auch geforscht. Für uns geht die Forschung aber weiter. Das Gebäude zu erstellen war eine Sache. Nun, da das Performative Haus an die Mieterschaft übergeben und ins Portfolio integriert wurde, muss sich zeigen, ob unsere Annahmen sich bewahrheiten und wie sich das Gebäude im Wandel der Zeit und der Bedürfnisse behauptet.

 

www.utorem.ch

 

Foto Credits: moyreal Immobilien ag

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Yves Rogger, Projektentwickler bei UTOREM.