"WIE GRENZEN WIR ARBEIT UND FREIZEIT VONEINANDER AB,
WENN ALLES JEDERZEIT ÜBERALL VERFÜGBAR IST?"
(BRUNO HAID, GRÜNDER VON ROAM)
Nach Coworking hat nun das Wohnkonzept Coliving Einzug gehalten: Die Mischung aus Studentenwohnen und Hotel ermöglicht neue Wohnformen, bei denen Austausch und Erlebnis im Zentrum stehen. Trendig möblierte Studios und „Twodios“ mit eigenem Bad und Kitchenette werden durch gemeinschaftliche Räume wie eine grosszügige Wohnküche, unterschiedliche Aufenthalts- und Serviceräume von Coworking zu Event und Sport Locations sowie stimmungsvolle Outdoorbereiche ergänzt. Zielgruppe sind die sogenannten digitalen Nomaden- Berufstätige, die aufgrund ihres Jobs und dank dem World Wide Web ortsunabhängig arbeiten können und dafür auf Zeit an inspirierenden Orten wohnen wollen. Das Teilen („Sharing“) von Raum und Mobilität gilt als Antithese zum bisher geltenden Ideal vom Besitz der eigenen vier Wände, von Designer-Möbeln und teuren Autos. Ohne Ballast und räumlich sowie zeitlich flexibel möchte man sein- und alles jederzeit überall können.
Projekte wie Old Oak der Immobilienfirma The Collective in London und We Live als Ergänzung zum Coworking-Konzept We Work in New York erfahren seit rund zwei Jahren grossen Zuspruch und breiten sich weiter aus. Auch in der Schweiz wird Coliving zum Begriff und fasst in Form von Clusterwohnungen, Single Living in Wohngemeinschaften und Mehrgenerationenwohnungen als permanente Wohnform Fuss. Die neuen Wohnkonzepte bieten eine Antwort auf die sozialen und organisatorischen Bedürfnisse der aktuellen Haushaltsstrukturen und dürfen in den Überlegungen zu Arealentwicklungen nicht fehlen.
Bruno Haid, der umtriebige Unternehmer aus Österreich, hat mit seiner Start-up-Firma roam das Coliving-Konzept zu einem internationalen Netzwerk ausgebaut: Heute hier, morgen dort, nie mehr einsam und alle Bedürfnisse gedeckt. Den Community-Mitgliedern stehen die Türen der roam-Locations offen: Bali, Miami, San Francisco, London, Tokyo und bald New York warten!
BRUNO, WAS IST ROAM?
Das ist eine gute Frage- Roam ist ein Netzwerk von interessanten Wohnräumen auf der ganzen Welt. Die Idee ist simpel: Anstatt langfristige Mietverträge abzuschliessen oder eine Wohnung zu kaufen, wird man Mitglied in unserem Netzwerk und kann an allen Locations wohnen so lange man möchte: eine Woche in London, zwei Monate in San Francisco oder ein halbes Jahr in Asien. Die Grundidee ist, Wohnen als ortsunabhängiges Netzwerk global zu etablieren, in dem die Leute sich frei bewegen können.
WAS HAT DICH ZUR GRÜNDUNG VON ROAM VERANLASST?
Ein Kindheitstrauma hauptsächlich. Ich bin auf einem Bauernhof mit Pension in den Tiroler Bergen aufgewachsen- das war eine ähnliche persönliche Wohnsituation. Damals hatte ich es gehasst mit anderen Leuten unter einem Dach zu wohnen. Ich hatte dann in meinen zwanziger Jahren lange eine Wohnung in einem Bürogebäude, weil ich nicht mit anderen Leuten im gleichen Haus leben wollte, geschweige denn in derselben Wohnung. Vor sechs bis sieben Jahren bin ich dann in San Francisco gelandet und habe zusammen mit ein paar Freunden, die zur gleichen Zeit dort eine Wohnung gesucht haben, ein altes Bed & Breakfast übernommen. Das war spannend als persönlicher Wohnraum, aber nicht als Unternehmen. Der grosse Durchbruch kam, als ein Freund mich fragte: Schau doch mal bei mir auf Bali vorbei- wo ich noch nie war- und arbeite von dort aus! Da habe ich zum ersten Mal realisiert, dass es nicht nur technisch möglich, sondern auch gesellschaftlich akzeptiert ist, von überall her auf der Welt zu arbeiten. Und das war der Moment, wo die verschiedenen Ströme zusammengeflossen sind: Wohnen als Dienstleistung, der Hospitality-Gedanke, das ortsunabhängige Wohnen und auch das Wohnen in der Gemeinschaft, wo eine gewisse Infrastruktur geteilt wird.
NACH WELCHEN KRITERIEN WÄHLST DU DEINE LOCATIONS AUS?
Das ist momentan opportunistisch. Wir haben bewusst in Indonesien angefangen, weil die Kosten dort geringer sind und es somit günstiger ist, Fehler zu machen. Hier in New York betreiben wir ein 80 Millionen-Dollar-Gebäude, und da sollte man dann schon besser wissen, was man tut. Grosse Städte, wo sozialökonomische Ungleichheit herrscht, sind für uns interessant. Das sind Städte, in denen ein höherer Druck auf dem Wohnungsmarkt herrscht. In diesem Umfeld können wir mit roam für Entspannung sorgen, den temporären Zugang einfacher und flexibler gestalten und ausgemusterte Hotelgebäude einer neuen Nutzung zuführen.
Die Gebäude selbst sollen architektonisch spannend sein und in interessanten Quartieren liegen. Sie müssen sowohl private Rückzugsräume als auch die gemeinschaftlichen Anforderungen unter einem Dach vereinen.
WIE FINANZIERT SICH ROAM?
Roam finanziert sich primär über die Mieten, die die Mitglieder für ihren Aufenthalt an den Locations zahlen. Diese sind abhängig von der jeweiligen Stadt und variieren zwischen Bali mit 1800 $ und New York mit 4600 $ im Monat. Wir sind ein klassischer Immobilienbetreiber, grundsätzlich leben wir von den Erträgen, die wir mit den Immobilien generieren. In New York allerdings haben wir unser Tätigkeitsfeld langsam in Richtung Co-Immobilienentwicklung erweitert.
WELCHES IST DIE GRÖSSTE HERAUSFORDERUNG BEI DEM KONZEPT?
Wir sind froh darüber, wie alles angelaufen ist. Aber wenn es dann einmal Daten über die ersten fünf Jahre gibt, werden wir uns diese genau anschauen. Unsere grösste Herausforderung ist es, eine globale Organisation aufzubauen, die eine verstopfte Toilette in Indonesien reparieren und gleichzeitig Kunden in San Francisco glücklich machen kann. Und dabei haben wir den Anspruch, eine gute Firmenkultur heranzubilden, die innovativ ist und sich schnell bewegt. Da muss man schon wissen, was man tut und das geschickt umsetzen.
WAS WIRD SICH IN DER WELT VON MORGEN NOCH VERÄNDERN?
Flexibilität steht für uns im Zentrum. Das sehen wir im Coworking-Bereich, und das hält auch im Wohnbereich mehr und mehr Einzug. Gleichzeitig werden Themen wichtig, die sich mit der Bedeutung von Eigentum im Allgemeinen und von Wohneigentum im Speziellen auseinandersetzen. Der Umgang mit gemeinschaftlichem Eigentum im Sinne von Sharing und die daraus folgende Wertsteigerung sowie allerhand gesellschaftliche Fragen in dem Zusammenhang spielen mit.
Zur Zeit findet ein grosser kultureller Umbruch statt: Man hat vom Reihenhaus geträumt, vom Job auf Lebzeit im Eckbüro und vom Einkauf im Einkaufszentrum. Zwischen den Orten lagen die Strassen und die Autobahnen. All das ist zur Zeit massiven Veränderungen unterworfen. Relevante Fragen der Zukunft sind: Wie grenzen wir Arbeit und Freizeit voneinander ab, wenn alles jederzeit überall verfügbar ist? Wie werden die Städte sich neu ordnen, wenn das primäre Interface der letzten fünfzig Jahre das Auto war und nun plötzlich das Smartphone ist. Das sind spannende Fragen.
WAS SIND DIE NÄCHSTEN ZIELE DES UNTERNEHMERS BRUNO HAID?
Definitiv roam! Wir glauben, dass es möglich ist, eine globale Immobilienplattform auf die Beine zu stellen. Wir wollen ultimativ ein paar hundert oder sogar tausend Gebäude weltweit betreiben. Die Frage, die sich uns stellt ist: Wie bekommen wir in den nächsten zwei bis drei Jahren so viele Gebäude wie möglich auf unsere Plattform? Und was wäre der nächste Schritt danach?- Wir denken über eine komplett individualisierte prefab-Konstruktion (Vorfabrikation) nach. Wie würde ein Appartment aussehen, wenn Apple eine vorfabrizierte Wohneinheit entwerfen würde? Es ist ausserordentlich spannend, sich über diese Dinge Gedanken zu machen. Roam ist auf jeden Fall für die nächsten Jahre oder sogar Jahrzehnte ein sehr spannendes Projekt, und wir empfinden es als Privileg, daran zu arbeiten!