"WENN ES NUR EIN DING IM KLIMASCHUTZ GÄBE, DAS WELTWEIT UMGESETZT WERDEN KÖNNTE, DANN MÜSSTE DAS EIN PREIS AUF EMISSIONEN SEIN, DER ZU 100% AN DIE BEVÖLKERUNG RÜCKVERGÜTET WIRD."
(Nick Beglinger, Mitgründer & CEO von Cleantech21)
2006 reiste Nick Beglinger als Berater in Entwicklungsfragen nach Abu Dhabi, um bei der Erstellung der Energiestadt Masdar zu testen, wie Solarzellen und Minergie in der Wüste eingesetzt werden können. 2007 gründete er die Stiftung Cleantech21 und mit ihr 2009 den Schweizer Wirtschaftsverband swisscleantech. Er lancierte den ersten Hackathon an einer Klimakonferenz und musste beinahe seinen Tesla verkaufen, um mit dem Erlös das Gewinner-Team des Hackathons an den Kick-off eines Pilotprojekts nach Chile zu bringen. Seine Projekte zur Bekämpfung des Klimawandel setzen auf grosse Hebelwirkung durch Innovation in Bezug auf politische Rahmenbedingungen und Technologie (Internet of Things, Artificial Intelligence und Blockchain). Uns interessiert in diesem Zusammenhang natürlich auch seine Vision für die Bau- und Immobilienwelt.
NICK, WAS BRACHTE DICH ALS ÖKONOM DAZU, DICH DEM THEMA KLIMAWANDEL MIT SO GROSSEM EINSATZ ANZUNEHMEN?
Ich habe vier Jahre an der London School of Economics studiert und dann bei Beratungs- und Infrastrukturprojekten in vielen Teilen der Welt mitgewirkt. Bei einem Regierungsmandat für die Siedlungsplanung von sieben Satellitenstädten rund um Teheran ist mir aufgefallen, welchen grossen Einfluss die Entscheidung auf die Emissionen der nächsten 30-50 Jahre hat, ob bei der Siedlungsentwicklung eine Zugverbindung mitgeplant wird oder nur Strassen. Dies und andere Infrastrukturprojekte haben mir gezeigt, dass man mit ganz bestimmten Entscheidungen eine Menge bewegen kann.
Ich habe schon früh viel Erfahrung in den Emerging Markets gesammelt. In China wechselt man zurzeit vom Mofa aufs Auto - 1.4 Milliarden Chinesen möchten sich das leisten können. Wenn wir mit unserem Status Quo, den wir im reichen Westen geniessen, jetzt schon ein Umweltproblem haben, und die Entwicklungsländer diesen Entwicklungsschritt «aufholen», dann belasten wir unseren Planeten in einer Art und Weise, die grosse Kosten und Risiken mit sich bringt. Durch die Infrastrukturarbeit habe ich mich daher immer mehr mit den Treibern einer nachhaltigen Entwicklung auseinandergesetzt. Bei der Regierung von Abu Dhabi hatte ich dann 2005-2007 die Gelegenheit, in Masdar mit einem unbeschränkten Budget zu forschen und zu analysieren, wie sich alternative Energiequellen sowie neue Mobilitäts- und Stadtplanungs-Konzepte umsetzen lassen.
WAS IST DEIN ZIEL?
Im Moment passiert sehr viel. Es wird nun besser und breiter verstanden, wie man in einer ernsten Krise reagieren muss. Wenn mit Corona-Schutzmassnahmen nur eine Woche länger gewartet wird, dann bedeutet dies deutlich mehr Infizierte und Tote. Das ist ein exponentielles Problem, bei dem auf einmal die Kontrolle verloren geht. Gleichzeitig wird realisiert, dass Corona mit nur 100 neuen Infektionen am Tag in den Spitälern ganz gut behandelt werden kann. Aber wenn es plötzlich 10'000 werden, dann haben wir ein Problem, denn mit dieser Spitze können wir nicht umgehen. Mit dem Klima ist es genau gleich. Unser Klima hat auch ein exponentielles Problem wegen des rasanten Wachstums unseres Ausstosses von Treibhausgasen. Es gibt immer mehr Menschen, die immer reicher werden, und dabei auch immer mehr konsumieren wollen.
Mein Ziel und meine Grundmotivation sind es, mit meinem Netzwerk und Wissen, meiner Glaubhaftigkeit und Erfahrung zur Lösung dieses Problems so effizient wie möglich beizutragen. Was ich tue, muss eine exponentielle Wirkung, eine ‘disruptive Hebelwirkung’, haben.
Der Bundesrat hat beschlossen, dass die Schweiz «netto null» Emissionen bis 2050 erreichen muss. Das ist besser als noch vor wenigen Jahren, aber es reicht trotzdem nicht aus. Analysiert man die wissenschaftlichen Fakten, so zeigt sich klar: Wir haben weniger als 30 Jahre Zeit, bis wir keinerlei Emissionen mehr ausschütten dürfen, es also kein Dieselauto, kein mit Kerosin betriebenes Flugzeug, keine Ölheizung und keinen Schwerdiesel mehr geben darf. – Und wir treffen heute bereits Entscheidungen, die ins Jahr 2050 hineinreichen!
Meine Aufgabe ist es demnach, auf diese Dringlichkeit aufmerksam zu machen. Andererseits möchte ich mit konkreten Projekten auch einen Lösungsbeitrag leisten – und zwar einen mit exponentiellem Effekt. Meine Projekte sollen daher Tools sein, die uns schneller und effizienter auf den Pfad einer nachhaltigen Entwicklung bringen.
WELCHE PROJEKTE BESCHÄFTIGEN DICH AKTUELL?
Unsere Stiftung führ derzeit drei Hauptprojekte. Das Erste ist der CPX – Climate Policy Exchange. Dieser schafft einen Link zwischen grossen bekannten Firmen und nationalen Politakteuren, die sich lokal um griffigeren Klimaschutz kümmern. Politische Akteure, wie Verbände, NGOs oder Interessensgemeinschaften, reichen ihre existierenden politischen Initiativen bei uns ein. CPX verlinkt diese mit den teilnehmenden Firmen – durch gemeinsame Ziele und Interessen – und bietet den Firmen Möglichkeiten, eingereichte Initiativen spezifisch zu unterstützen. Auf diese Weise erhalten die nationalen Akteure konkrete Unterstützung durch grosse Wirtschaftsnamen. Dies wiederum ist zentral, um politische Initiativen auch durch das Parlament oder durch das Volk zu bringen. CPX ist als Softwareplattform konzipiert und ist daher digital skalierbar.
Das zweite Projekt ist die Climate Dividend – Klimadividende. Das ist eine der effektivsten Klimastrategien! Wenn es nur ein Ding gäbe, das weltweit im Klimaschutz umgesetzt werden könnte, dann sollte das ein Preis auf Emissionen sein, der ganz hoch in der Wertschöpfungskette von den Regierungen erhoben wird und zu 100% und in gleichen Teilen an die Bevölkerung rückverteilt wird. Haushalte mit hohem Einkommen und einem grossen Emissions-Fussabdruck müssten netto zahlen, und weniger gut situierte Haushalte (Stichwort ‘Gillets Jaunes’) mit meist kleinerem Emissions-Fussabdruck würden unter dem Strich Geld erhalten. Mit anderen Worten, die Klimadividende ist sowohl effizient wie auch fair.
MÜSSTE DIESES GELD NICHT IN KLIMASCHUTZPROJEKTE FLIESSEN?
Nein, das ist genau die Fehlüberlegung, die bisher immer gemacht wurde: Man gründet einen Klimafonds, und aus diesem unterstützt man Projekte. Dann laufen etwa drei von hundert Projekten, die in der Schweiz durchgeführt werden über den Klimafonds. Für eine erfolgreiche Netto-Null-Strategie muss JEDES PROJEKT ein Klimaprojekt sein. Heute müssen wir keine weiteren Klimafonds gründen, gerade im Immobilienbereich. Vielmehr muss sichergestellt werden, dass jeder Immobilienfonds die Emissionen seiner Immobilien miteinberechnet, dass diese Emissionen einen Preis haben, und so emissionsfreie Projekte die marktwirtschaftlich beste Lösung darstellen. Nur so bekomme ich den ganzen Markt dazu, sich zu bewegen.
Oder anders ausgedrückt: Jede Tonne CO₂ muss besteuert werden. Es ist die Aufgabe des Staates, diese Regel einzuführen. Die Umsetzung soll aber dem Markt, sprich der Wirtschaft überlassen werden. Ob Zug oder Flugzeug, Minergie oder Passivhaus, Veloweg oder Sonnenkollektoren auf Turnhallen – das hängt von vielen Faktoren ab und soll von den relevanten Marktakteuren, und nicht zentralistisch vom Staat, bestimmt werden. So klar ich ein Unterstützer davon bin, dass der Staat klare Leitplanken schafft, so klar ist es für mich, dass Innovation und Umsetzung in der Wirtschaft passieren müssen. Nicht der Staat soll entscheiden, welche Projekte umgesetzt werden sollen. Jeder Einzelne soll selbst entscheiden, was er mit dem Geld macht, welches er durch die Rückverteilung der Klimadividende erhält. Das ist viel effizienter. Mit einem Preis auf die Emissionen wird deren Ausstoss für alle teurer, und die emissionsfreien Alternativen werden netto günstiger. D.h. das Dieselauto wird teurer als das Elektroauto, die Wärmepumpe wird attraktiver als die Öl- oder Gasheizung. Und als Nebeneffekt führt dies zu einer progressiven Vermögensumverteilung, was so viel heisst als dass die grösser werdende soziale Schere wieder näher zusammenkommt.
Und dann gibt es noch ein drittes Projekt, das ist der Hack4Climate. Einfach gesagt: Ein Innovationsprogramm, das Klima in die IT-Community, und IT in die Klima-Community bringen soll.
Hier geht es um disruptive Technologien – konkret Artificial Intelligence, Internet of Things und Blockchain – und deren disruptiven Einsatz für den Klimaschutz. Jährlich werden mit Experten Challenges definiert. Diese werden dann, mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft, in unserer Hacker-Community bearbeitet. Eine Jury bewertet die besten Projekte. Diese werden dann an den Klimakonferenzen präsentiert. Zum Beispiel: Satelliten-, Drohnen-, und mobile Bilder können mithilfe von Artificial Intelligence analysiert werden, um dynamisch und beinahe in Echtzeit Abholzungsmuster zu erkennen. Dies gibt Aufschluss über die Einhaltung von Nutzungsplänen sowie über künftige Landveränderungen und ermöglicht so eine effizientere Prävention. Wie kann dafür ein Data Marketplace geschaffen werden, der nicht den Profit sondern den Umwelteffekt maximiert? Ein anderes Beispiel: Wie kann ein Energiemarkt geschaffen werden, der nicht ‘top-down’ sondern ‘bottom-up’ funktioniert, in dessen Zentrum nicht ein grosses Kraftwerk sondern viele keine ‘Prosumers’ stehen – Haushalte und Geschäfte mit lokaler Energieproduktion?
WELCHEN BEITRAG KANN DER BAU- UND IMMOBILIENBEREICH HIERZU LEISTEN?
Erstmal gilt für jeden Sektor und jede Privatperson: Kein Geld mehr in veraltete Technologie investieren – gar keines mehr. Mit veraltet meine ich ‘fossil’, also eine Technologie/Infrastruktur die Treibhausgase produziert. Der Grund ist einfach: Ein ‘Asset’, sagen wir eine Heizung, die heute neu installiert wird, hat eine Betriebszeit von vielen Jahren. In all diesen Jahren würde sie Emissionen produzieren. Das geht nicht und wird auch immer teurer werden. Um rasch voran zu kommen, in allen Sektoren, brauchen Emissionen einen Preis – wie das im Immobilienbereich bezüglich des Heizöls ja bereits heute der Fall ist und mittels der Klimadividende noch verbessert werden könnte. In Sachen Immobilien heisst das erst einmal: Nicht mehr in Öl- und Gasheizungen, sondern in die Gebäudeeffizienz investieren, was sich wiederum positiv auf die Betriebskosten auswirken wird. Zusätzlich sollte ein Gebäude als Teil einer dezentralen Energieinfrastruktur verstanden werden und Energie produzieren.
WESHALB SOLL EIN GEBÄUDE ENERGIE PRODUZIEREN?
Die schönste Form der Energiegewinnung ist die Photovoltaik, wobei aus Sonnenlicht elektrische Energie gewonnen wird. Dazu benötigt man Flächen. Als Flächen hierfür sollte die existierende Infrastruktur genutzt werden: Dächer, Fassaden, Parkingstrukturen und vielleicht sogar auch Strassen erhalten so eine neue Aufgabe.
Alle der Sonne exponierten Gebäudeoberflächen sollten energetisch genutzt werden, für den Eigenbedarf und zur Einspeisung ins öffentliche Netz. Bereits in wenigen Jahren wird die lokale Maximierung der Energiegewinnung und die lokal angepasste Energiespeicherung sich auch rein finanziell lohnen. Das wird durch Innovation in Technologie und Regulation ermöglicht. Bereits heute, bin ich der Meinung, sollten sich Projektentwickler und Architekten nachhaltiges Bauen zum Berufsethos machen. Heute trägt der Immobilienbereich noch zu einem wesentlichen Teil zur Klimakatastrophe bei. Morgen muss und kann er einen wesentlichen Lösungsbeitrag leisten.
EIN GROSSER LÖSUNGSBEITRAG IST DIE ‚DEZENTRALE‘ ENERGIEWENDE
Sie ist der Königsweg, den man jedoch im Eiltempo begehen muss. Die Klimakatastrophe benötigt dringendes Handeln. Und das schaffen wir am besten, wenn jeder Einzelne Energie herstellt und auch speichert. Energie wird über ein intelligentes Netz ins Gesamtsystem eingespiesen und zu anderen Zeiten von diesem bezogen. In dem von uns co-initiierten Projekt Quartierstrom (quartier-strom.ch) in Walenstadt, wurde diese ‚bottom-up‘ Strategie in einem zweijährigen Pilotprojekt getestet. Energie wurde lokal produziert, gespeichert und über einen dezentralen Energiemarkt (betrieben auf der Tendermint Blockchain) zwischen den 37 teilnehmenden Haushalten gehandelt. Viele kleine ‚Prosumenten‘ zusammen stellen die sicherere, günstigere und auch am besten skalierbare Versorgung mit erneuerbarer Energie dar. So können sowohl Gas- und Atomkraftwerke im Inland wie auch der Kauf von ausländischem Strom aus Kohlekraftwerken vermieden werden. Das Pilotprojekt in Walenstadt hat gezeigt, dass dies technisch machbar ist, aber dass Anpassungen in der Netzwerkregulation nötig sind. Damit die dezentrale Energiewende genügend schnell umgesetzt werden kann, müssen mehr Anreize für Prosumenten geschaffen werden. Heute sind Tarife so ausgelegt, dass Prosumenten in der letzten Meile Strom für ca. 20 Rappen pro Kilowattstunde kaufen, aber nur ca. 5 Rappen für den Verkauf Ihres selbstproduzierten Stroms erhalten. Das ist einfach zu wenig attraktiv. Auch hier gilt: Nachhaltigkeit muss sich finanziell rechnen.
WAS HEISST DAS FÜR DIE ÄSTHETIK?
Zuerst einmal gilt für mich: Ästhetik ist wichtig, aber Nachhaltigkeit ist wichtiger. Zudem schliesst das eine das andere nicht zwingend aus. Ich würde sagen: Design, das nur auf Ästhetik ausgerichtet ist, ist schlichtweg nicht mehr zeitgerecht. Die Architekten und Planer von heute müssen sich genau an diesem Punkt messen – schönes nachhaltiges Design liefern. Ein wichtiger Punkt spielt hierbei die Integration von Photovoltaikzellen in andere Materialien. Oft ist es so, dass Solarpaneele auf bestehenden Dächern installiert werden. Das ist, wie wenn man zwei Regenschirme übereinander trägt – eine Verschwendung und meist auch ein ästhetischer Fauxpas. Heutzutage kann man solare Ziegel herstellen. Damit gibt es eine Schicht, die beide Funktionen – den klassischen ‚Dachschutz‘ wie auch die lokale Energieproduktion – vereint. Das ist günstiger und ästhetischer. Organische Solarzellen können mittlerweile in jeder Farbe und in allen möglichen Oberflächenstrukturen produziert werden. Mit anderen Worten ‚nur schön‘ reicht heute nicht mehr. Die Immobilienbranche muss beides liefern: Ästhetik UND Nachhaltigkeit.
WAS HAST DU FÜR DIE NAHE ZUKUNFT IN PETTO?
In der nahen Zukunft liegt unser Fokus auf der Durchführung der erwähnten Projekte. Diese sind allesamt sehr anspruchsvoll. Ich habe aber immer einen ganzen Kühlschrank voller Projektideen und erwäge ständig, was als nächstes kommen soll. Das steht derzeit noch nicht fest, beinhaltet aber sicher den gleichen Grundansatz: Mit grossen Schritten schnell vorankommen, mittels Innovation im technischen wie auch im regulatorischen Bereich. Ein derzeitiger Favorit ist der Climate Club, eine Art globale Klimapartei, die derzeitige Bewegungen, wie diejenige der Klimajugend, nutzt, um spezifische Unterstützung für konkrete politische Initiativen zu mobilisieren. Aber hierfür gelte es, erst einmal Leitfiguren zu gewinnen – wie Greta Thunberg oder Leonardo di Caprio.