"WAS MICH ANTREIBT, SIND DIE GROSSEN HERAUSFORDERUNGEN HINSICHTLICH DES KLIMAWANDELS, VOR DENEN UNSERE GESELLSCHAFT HEUTE STEHT."

 

(PROF. PHILIPPE BLOCK, ETH ZURICH)

 

 

Philippe Block ist Professor für Architektur und Tragwerk am Institut für Technologie in der Architektur (ITA) der ETH Zürich und Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunktes (NFS) Digitale Fabrikation. Der Bauingenieur und Architekt hat sich dem Ziel verschrieben, im Rahmen der Block Research Group (BRG) nachhaltige und effiziente Bautechnologien zu erforschen, die den wesentlichen Herausforderungen des heutigen und zukünftigen Bauens begegnen. Seine Anwendungen zeigen erfrischend kreative Lösungsansätze, deren Einfachheit erstaunt.

 

 

PHILIPPE, WAS STECKT HINTER BRG UND WAS TREIBT DICH AN?

 

Der Kern zu allem, was wir tun, beruht auf dem Prinzip, Festigkeit durch Geometrie zu erzeugen. Wir wollen zeigen, dass man mit der richtigen Geometrie und den geeigneten Materialien Tragwerke einfacher und leichter erstellen kann.

 

Was mich antreibt, sind die grossen Herausforderungen hinsichtlich des Klimawandels, vor denen unsere Gesellschaft heute steht, und ich bin sehr froh, dass sich dieses Bewusstsein langsam auch unter Architekten und Bauingenieuren, die hierauf Einfluss nehmen müssen, verbreitet. Denn auch sie tragen mit ihrer Arbeit zur Klimaveränderung bei und müssen Verantwortung übernehmen. Ich sehe vier Herausforderungen:

 

Da ist erstens die Luftverschmutzung, welche durch den Kohlendioxidausstoss aufgrund des Bauprozesses entsteht. Der Überfluss, mit dem wir heute bauen, ist nicht mehr verantwortbar. Die Bautätigkeit trägt 40 Prozent zum gebundenen CO bei - eine Tatsache, die nicht sehr bekannt ist. Bill und Melinda Gates haben in ihrem Jahresbrief beziffert, dass für die bis 2050 erwarteten zusätzlichen 2.1 Millarden Menschen monatlich eine New Yorker Innenstadt gebaut werden müsse, um der Nachfrage nach Wohnraum nachzukommen - und dies während der nächsten dreissig Jahre. Der Stuttgarter Tragwerksspezialist Professor Werner Sobek stellte folgenden Vergleich an: Wenn man eine dreissig Zentimeter starke Betonmauer um den Äquator bauen würde, so müsste diese Mauer jährlich um zwei Kilometer in die Höhe wachsen; so viel Baumaterial würde verbraucht werden. So können wir unmöglich weiterbauen, dabei bringen wir unseren Planeten um. Das heisst, hier ist dringend ein Umdenken nötig.

 

Die zweite Herausforderung ist der Abbau von Rohstoffen. Um der wachsenden Baunachfrage im Zusammenhang mit dem Bevölkerungswachstum nachzukommen, kommt von den heute verbreiteten Bauweisen nur Beton in Frage, dessen Herstellung die Umwelt sehr belastet. Innerhalb der nächsten 35-40 Jahre wird uns jedoch der Sand ausgehen, den wir für die Herstellung des Betons benötigen- Wüstensand kann für den heutigen Beton nicht verwendet werden. Dies wird auch die Schweiz betreffen.

 

Die dritte Herausforderung betrifft die Tatsache, dass die Bauindustrie weltweit für rund 40 Prozent des gesamten Abfallvolumens verantwortlich ist, wovon der grösste Teil nicht recycliert wird. Es gibt Bemühungen in diese Richtung, stellt aber immer noch eine grosse Herausforderung dar.

 

Die Vierte ist die Arbeitsproduktivität: Unsere Industrie ist seit zwanzig Jahren erstaunlich stagnierend im Vergleich zu anderen Industriezweigen. Die Steigerung der Wertschöpfung ist fast eins zu eins abhängig vom Einsatz der Digitalisierung. Dies ist auch etwas, das wir uns in der BRG und ich mir als Direktor des NFS für Digitale Fabrikation auf die Fahne geschrieben haben: Wir wollen aufzeigen, wie effektiv man werden kann, indem man die Digitalisierung nicht nur in der Planung, sondern auch in der Umsetzung einsetzt- sei es durch Prefabrikation oder auch durch die Verbesserung der Produktionsabläufe auf der Baustelle. Zahlen bestätigen, dass wir mit herkömmlichen Methoden nicht schnell genug bauen können, um dem Bevölkerungswachstum weltweit standzuhalten.

 

Dies sind die vier Herausforderungen, die uns antreiben.

 

 

WIE GEHT IHR DIESE HERAUSFORDERUNGEN AN?

 

Das meiste Material und somit die meiste graue Energie eines Gebäudes ist in der Tragstruktur gebunden. Zum einen möchten wir Gewicht bei gleichbleibendem Nutzervolumen reduzieren. Unser Ziel ist es, hauchdünne Tragschichten mit möglichst hoher Tragfähigkeit zu entwickeln.

 

Zum Thema Rohstoffabbau kommen Tragwerksgeometrien ins Spiel. Im früheren Rundbogenbau der Kathedralen sind die Belastungen innerhalb der Tragstruktur und somit auch die Anforderungen an das Material relativ gering. Dies bedeutet, dass man mit Material von geringer Festigkeit in geringen Mengen arbeiten kann. So können wir uns eines Teils der stark verschmutzenden Materialien entledigen. In unseren Konstruktionen verwenden wir natürlich gewachsene oder sogar CO-negative Materialien; oft Materialien, die nie zuvor für statische Aufgaben eingesetzt wurden. Wir führen also nicht nur die Tragstrukturen der grossen Baumeister von vor hunderten von Jahren wieder ein, sondern zeigen auch, wie man einfache Materialien, die die Umwelt nicht belasten, einsetzen kann.

 

Das Bodenelement beispielsweise, das wir am World Economic Forum dieses Jahr vorgestellt haben, wurde fast vollständig aus recyclierten Materialien hergestellt. Der Zement war zu 50 Prozent recycliert worden. Dieses Bodenelement ist gegenüber einer Stahlbetonplatte, welche dieselben statischen Anforderungen erfüllt, um 70 Prozent leichter, da es nur aus einer dünnen Schale besteht, und es setzt nur ein Viertel der herkömmlichen Kohlendioxidmenge frei.

 

Durch die digitale und computerisierte Herstellung sparen wir viel Abfall ein. Hinsichtlich der Produktivität kann man sagen, dass BIM bereits zu 100 Prozent überholt ist - wir arbeiten an der nächsten Generation der Digitalisierung. In der Industrie erfindet zurzeit jeder das Rad für sich neu - dies vergeudet viel Energie und Zeit. Daher wollen wir eine offene Kultur für Wissens- und Erfahrungsaustausch fördern nach dem Open Source Knowledge-Konzept. Die Herausforderungen sind sehr gross. Wenn wir nicht anfangen, zusammen zu arbeiten, schaffen wir das nicht. Hierin versuchen wir ein Vorbild zu sein.

 

 

EINES EURER LETZTEN WERKE WAR KNITCANDELA IN MEXICO. WAS WAR DAS BESONDERE DARAN?

 

Bei KnitCandela kamen einige Dinge zusammen: Wir haben eine ganz dünne Schale hergestellt, deren Schalung textil war und die hier im Labor unter uns an einer Strickmaschine gestrickt wurde. Dieses Schalungsnetz wurde dann in zwei Koffern von der Schweiz nach Mexiko geflogen und auf der Baustelle angeliefert. 50 Kilogramm Schalung haben fünf Tonnen Beton gehalten! Und was es noch spannender macht, ist, dass die Materialkosten für die gesamte Schalung sich auf 2'500 Franken beliefen. Das erscheint lachhaft, und ein solcher Beweis hat eine grosse Wirkung: Schaut, was man mit so einfachen und günstigen Materialien bewirken kann!

 

Die Schalung ist eigentlich ein riesiger Schal, der in nur 36 Stunden gestrickt wurde. Das ganze Projekt dauerte ab dem ersten Email bis zur Ausstellungseröffnung nur zweieinhalb Monate. Architektur, Entwurf, Tragstruktur, Herstellung und die Baubedingungen wurden von Anfang an gleichzeitig am selben Modell betrachtet und mit Computermethodik zusammengeführt. Wenn wir unser Wissen anwenden und neue Techniken finden wollen, müssen wir das Wissen zusammenbringen und nicht in Schubladen denken. Und die Digitalisierung ist, meiner Meinung nach, der Schlüssel dazu.

 

 

WIE REAGIERT DER MARKT AUF EURE FORSCHUNGSANSÄTZE?

 

Seit dem Projekt KnitCandela haben wir viele Anfragen von Seiten der Unternehmer bekommen. Die ultraleichten, äusserst günstigen Konstruktionen erregen Aufsehen.

Ein Beispiel: Wir forschten nach Elementen mit bestimmten Eigenschaften und entwickelten dabei einen Prototyp, welchen wir zusammen mit der Generalunternehmung Marti herstellen liessen. Daraufhin fragte Marti uns an, ob sie das Produkt in einer Ausschreibungsofferte einsetzen dürfen- Das war ein tolles Erfolgserlebnis für uns.

 

Zwei unserer Prototypen für Deckenelemente werden in unserer Einheit vom Empa-Nest- Gebäude in Dübendorf eingebaut. Unsere Einheit heisst HiLo, was für High Performance und Low Energy steht. Innerhalb der nächsten zwei Jahre werden wir ein um 70 Prozent leichteres, zertifiziertes Deckenelement anbieten können, mit dem jedes beliebige Bodenelement ersetzt werden könnte. Zusätzlich dazu enthält das Material nur ein Viertel der grauen Energie und in den Hohlräumen können Haustechniksysteme untergebracht werden. Konservativ gerechnet ergibt dies 25 Prozent mehr Immobilienfläche, da bei gleicher Bauhöhe mehr Stockwerke untergebracht werden können. Das finde ich sehr spannend.

 

 

WIE STEHT ES MIT DER AKUSTIK BEI DIESEN ULTRALEICHTEN UND DÜNNEN SCHALEN?

 

Dies ist ein interessanter Aspekt. Die einfachste Art, um akustische Probleme zu lösen, ist die Verwendung von Masse. Vor allem die problematischen tiefen Frequenzen werden damit absorbiert. Aber - und diese Technik wird in Flugzeugen verwendet - Schalldämpfung wird auch durch Steifheit erreicht. Und unsere Schalen sind besonders steif. Wir haben einen Experten in unserem Team, der auf Luft- und Trittschallakustik spezialisiert ist.

 

 

KÖNNEN EURE INNOVATIVEN TECHNOLOGIEN FINANZIELL MIT HERKÖMMLICHEN BAUWEISEN KONKURRIEREN?

 

Es ist wahr, dass wir heute noch nicht konkurrenzfähig sind im Vergleich zu herkömmlichen Baumethoden. Wir befinden uns noch in der Entwicklungsphase. Aber wenn man sich die sekundären Vorteile vor Augen hält wie die Massen- und Dickenreduktion der Bodenelemente, die Auswirkung auf die Fundamente, die Kosteneinsparungen bei Logistik und die Geschwindigkeit im Erstellen, dann kommen wir in die Nähe. Wir arbeiten stark an den ökonomischen Aspekten.

 

Da uns das Material für konventionelle Bauweisen aber ausgeht, bin ich sicher, dass es wieder eine wirtschaftliche Verlagerung geben wird, welche an Innovation gekoppelt ist. Früher beispielsweise war Arbeit billiger als Material, darum gab es arbeitsintensive Herstellungsprozesse: Backsteine; dann wurde die Arbeit teurer und das Material billiger, und so begannen die standardisierten Prozesse, wobei weniger Arbeitsaufwand notwendig wurde. Der Grund, weshalb Pierluigi Nervi den Auftrag für die schönen Betonschalen des Pallazetto dello Sport in Rom erhielt, war, dass zu jener Zeit Italien sich in einer Wirtschaftskrise befand und Stahl zu teuer war. Ich glaube, dass wir wieder auf eine Zeit zusteuern, wo Material nicht mehr billig sein wird, wegen Knappheit und Regulationen. Wir werden erklären müssen, wieviel CO der Bau unserer Gebäude freisetzt.

 

Es ist interessant, dass die Studenten hier immer offener werden und sich immer mehr für die Aspekte ausserhalb des Entwurfs interessieren, wie Bausysteme, Technologien, etc. Auch dieses Gebäude mit seiner Offenheit und dem Austausch untereinander hat unsere Arbeit verändert. Einer unserer Doktoranden ist der Leiter einer Forschungsabteilung von Zaha Hadid. Das Büro ist führend im Einsatz der Computerisierung sowie Digitalisierung und arbeitet mit intelligenten Geometrien. Sein Forschungsthema entwickelt sich dahin, was diese Verlagerung der Bautechnologien auf städtebaulicher Ebene bedeutet. Die Frage ist doch, wie sähe eine Stadt aus, die aus vielen solcher Schalen besteht? Welche Entwurfschancen ergeben sich daraus?

 

https://www.block.arch.ethz.ch/brg/