Open House - Architekturvermittlung, die bewegt 

 

Seit 1.Oktober 2016 trägt Architekturvermittlung in Zürich einen neuen Namen: Open House. 

61 Gebäude lotsten an zwei Tagen 6’700 Menschen quer durch die Stadt und wurden insgesamt 17'800 mal besucht. Von der historischen Villa Patumbah über Hochburgen wie das Fifa-Hauptquartier und technologische Leckerbissen wie das Nest der Empa bis hin zu verschiedenartigen zeitgenössischen Wohnbauprojekten öffneten am 1. und 2. Oktober 2016 ihre Türen gratis für die architekturinteressierte Öffentlichkeit. Der Andrang war gross, der Erfolg somit sicher und die Wiederholung steht in den Startlöchern. 

 

Christoph Kretz und Raphael Karrer haben sich der Vermittlung von Architektur und Baukultur verschrieben. Im Rahmen der Recherche zu einem europaweiten Projekt stiessen sie auf die Architekturveranstaltung Open House, die in diversen Grossstädten wie London, Wien und Lissabon jährlich stattfindet. Sie erkannten rasch, dass ein solches Format in Zürich fehlt und fassten innert Tagesfrist den Plan, Open House nach Zürich zu bringen. 

 

Veranstaltungserfahrung hatte Raphael Karrer bereits früh gesammelt: 1994 gründete er zusammen mit einer Partnerin die Kunst Zürich und führte sie über zwanzig Jahre lang. Heute gilt die Messe als namhafte Alternative zur Kunst Basel. Als diplomierter Architekt der ETH hat sich Kretz nach fünfzehn Jahren Planungstätigkeit als Kommunikationsspezialist für Architekturbüros etabliert. Kennengelernt haben beide sich im Rahmen eines anderen Projekts.

 

Erste Abklärungen mit der Zentrale von Open House in der Gründerstadt London ergaben, dass die nötigen Kriterien für eine Open House Zürich erfüllt waren: Das Format ist ein Non-Profit-Event, bei dem es rein um den kulturellen Wert der Architektur ohne jegliche kommerzielle Hintergründe geht. Die Stadt muss eine gewisse Grösse haben, und die Organisatoren sollten einen geeigneten persönlichen Hintergrund mitbringen und ihr Engagement glaubhaft machen können.

 

Der Countdown geht los

 

Die Gründung des Vereins Open House „am 11.November 2015 um 11.11 Uhr“, wie Kretz augenzwinkernd äusserte, war die Grundsteinlegung zu dem Anlass. Jetzt begann der Countdown, denn die Öffentlichkeit sollte bereits im Jahr 2016 in den Genuss der ersten Open House Zürich kommen. Der richtige Zeitpunkt musste unter Abwägung konkurrierender Stadtanlässe und Ferienterminen gefunden, das Konzept erarbeitet und ein passendes Rahmenprogramm entworfen werden. 

 

Partnerschaften wurden gegründet, die Zusammenarbeit mit Sponsoren und Förderstellen aufgebaut. Man schrieb Stiftungsgesuche und übte den Elevator-Pitch: „Du fährst 30 Sekunden mit dem Geschäftsführer im Lift und möchtest ihn von Deiner Idee überzeugen. Was sagst Du?“ Diese Arbeit sollte Kretz und Karrer bis in den frühen Sommer 2016 begleiten. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Partnerschaft mit der Förderstelle „Auszeichnung für gute Bauten“ der Stadt Zürich. Denn auch die Stadt hat ein starkes Interesse daran, aktuelle Gebäude mit einer gewissen Tragweite der Öffentlichkeit zu präsentieren. Das effektive Architekturerlebnis krönt somit auch die an die Prämierung anschliessende Architekturausstellung im Stadthaus. 

 

Die Auseinandersetzung beginnt beim Gebäudemix

 

Die durchdachte Zusammenstellung der Häuser ist die Kuratorenarbeit an der ganzen Sache. Nur gut, dass Karrer etwa zur gleichen Zeit, als die Idee von Open House Zürich aufkam, das Nachdiplomstudium MAS Curating an der Zürcher Hochschule der Künste absolvierte. Man kann erraten, welches sein Diplomthema wurde. 

 

Der Gebäudemix hängt von den Zielgruppen ab, den die Open House erreichen will: eine gewisse Architekturbegeisterung ist Voraussetzung, aber auch alte Hasen aus Planung und Baugewerbe sollen auf Ihre Rechnung kommen und Neues kennenlernen können. Es ist die Rede von Architekten, Besuchern aus architekturanverwandten Branchen und architekturaffinen Besuchern. 

 

Der Event lebt von einem typischen Mechanismus, der sich in allen Open House-Veranstaltungen im internationalen Umfeld bisher herauskristallisiert hat: Besucher, die selten oder nie Architektur besichtigen, werden sich im ersten Jahr vor allem auf publikumswirksame Highlights wie das Fifa-Hauptquartier oder das SRF-Fernsehstudio konzentrieren. Im Falle einer positiven Erfahrung, sagen sich die Besucher zurück zu Hause: „Das war gut, das machen wir im nächsten Jahr wieder!“ Im folgenden Jahr haben sie diese Attraktionen aber bereits gesehen und überlegen sich, welche anderen Gebäude sie sich ansehen könnten. Ein Prozess beginnt. Man geht Häuser anschauen, die man sonst nie besichtigen würde. Teilweise werden Themenkreise ausgewählt, wie genossenschaftliche Wohnsiedlungen oder zeitgenössische Bürogebäude. Und so wächst auch bei Laien das Interesse an und die Auseinandersetzung mit Architektur. 

 

Meinungen über gute oder schlechte Bauwerke werden gebildet, Raumkonzepte und Architektur diskutiert. Wie essentiell diese Auseinandersetzung der Öffentlichkeit mit Bauten ist, zeigen die Abstimmungen mit grosser Tragweite über Projekte wie die Erweiterungsbauten von Kunsthaus und Ladensmuseum oder der Neubau eines Fussballstadions. Gebäude wie das Fernsehstudio, die rein architektonisch betrachtet keine Juwelen sein mögen, bieten so einen Einstieg in die Auseinandersetzung mit Baukultur.

 

Dabei ist es den Organisatoren wichtig, dass Open House keine Leitplanken für sogenannte „gute Architektur“ vorgeben will. Die Auswahl soll durchdacht, aber nicht elitär sein. „Es war für uns von Anfang an klar, dass wir das neue Empa-Testgebäude ‚Nest’ dabei haben wollen! Am Samstag kam ein Herr da heraus und meinte, er hätte noch nie so ein ‚gottsjämmerliches Gebäude’ gesehen. ‚Das ist ja fürchterlich!’ meinte er.“- „Das ist ok“, kommentierte Kretz „Das Einzige, das nicht passieren soll, ist, dass jemand sagt: ‚Da hätte ich gleich zu Hause bleiben können!’“ Der Strauss soll möglichst bunt sein, sodass jeder Interessierte etwas für sich findet. 

 

Wie wird die nächste Open House Zürich? 

 

Bereits sitzen die beiden Organisatoren wieder um den ovalen Büro-/Esstisch in ihrem Vereinslokal im Seefeld und schmieden Pläne für die Open House 2017. Was ist das Ziel? „Im ersten Jahr zeigen wir allen, dass wir die Veranstaltung innerhalb der gegebenen Zeit realisieren können; im zweiten Jahr zeigen wir, dass wir’s noch besser machen können, und im dritten Jahr zeigen wir, dass es fliegt!“ Statt 61 sollen nun rund 80 Häuser ihre Türen öffnen. Die Auswahl soll noch breiter und spannender werden, mehr Wohnungen und Büros sollen auch von innen erfahrbar sein.

 

Eine grosse Chance bietet dabei der Stamm von etwa 50 Volunteers, auf die die Organisatoren zurückgreifen können: „Ohne die läuft nichts!“ Die Volunteers sollen früher in die Veranstaltung miteingebunden werden und sich so intensiver und gemäss ihren eigenen Interessen vorbereiten können. Es gibt eine ganze Zeitepoche zwischen den zwanziger und den achziger Jahren, die dieses Jahr fehlten, da keine unmittelbaren Ansprechpersonen mehr zur Verfügung stehen, die Führungen machen könnten. Dies könne durch Volunteers abgedeckt werden. Auch Initiativen und Gebäudevorschläge der Volunteers sind willkommen. 

 

Projekte in der Pipeline

 

Die Vision von Christoph Kretz und Raphael Karrer erschöpft sich aber keineswegs mit der Open House Zürich. Weitere Projekte sind bereits in der Pipeline. Auch Basel und Genf sollen in den nächsten Jahren ihr Open House erhalten. Open House All Year wird Möglichkeiten bieten, Projekte zu besichtigen, die an den Open House-Tagen nicht ihre Türen öffnen können. Open House Travel wird architekturfokussierte Reisen mit intimen architektonischen Einblicken zu internationalen Open House-Events anbieten und einiges mehr. 

 

Ihre Leidenschaft für die Vermittlung von Architektur und Baukultur ist ihr Antrieb und zu tun gibt es viel. Das sind erlebnisreiche Aussichten für die Züricher Baukultur. (Britta Vodicka)