Experimentelles Wohnen im Zürcher Zollhaus
Ein Entwicklungsprozess besonders experimenteller Natur wird mit einer öffentlichen Besichtigung gefeiert: Beim Zürcher Zollhaus lotete die Genossenschaft Kalkbreite die Grenzen von Partizipation und Aneignung zu Gunsten bezahlbarer Mieten und sozialer Heterogenität aus. Das Resultat macht Lust auf Wohnen.
Die Vision der Bauherrin Genossenschaft Kalkbreite war es, eine möglichst kostengünstige räumliche Struktur für eine sozial stark durchmischte Bewohnerschaft zu schaffen, wobei die Prozentsätze, mit welcher einzelne Gruppen vertreten sein sollten, zuvor sehr präzise festgelegt wurden: darunter Asylbewohner, gemeinschaftliches Wohnen im Alter, die LGBTQI-Community und «Minderheiten, welche für Deskriminierungen exponiert sind». Der geforderte Nutzermix hat Vertreter aus 19 Nationen zur Folge. Die soziale Diversität der Bewohner spiegelt sich in der Vielfalt der 50 Wohneinheiten: vom 1.5-Zimmer-Studio bis zur 9.5-Zimmer-Hallenwohnung. Experimentelle Wohnkonzepte wie Wohngemeinschaften für Familien oder das gemeinschaftliche Wohnen im Alter loten die Grenzen der planbaren Nutzungskonzepte aus. Die Themen Partizipation und Aneignung wurden im Planungs- und Bauprozess maximiert mit dem Ziel, möglichst niedrige Kosten und somit eine optimale Bezahlbarkeit für die Bewohner zu gewährleisten.
In einem ersten Ansatz sollten die Mitglieder jeder Wohngemeinschaft gemeinsam und selbständig ihren Innenausbau einschliesslich der Badezimmer- und Küchenausbauten sowie der elektrischen Installationen planen und bewilligen lassen. In der Praxis zeigte sich allerdings, dass diese Anforderungen mehr Fachkompetenz erforderten als die Bewohner mitbrachten, sodass beim zweiten Anlauf die Bauherrin den Fachplanungs- und Bewilligungspart übernahm. Der Innenausbau ab Edelrohbau wurde von den Bewohnern dann auch mit eigener Tatkraft umgesetzt. Neuartig sind die eineinhalbgeschossigen Hallenwohnungen in den Grössen S, M, L und XL. Das Konzept hatte sich bisher nur in zwischengenutzten Fabrikhallen durchgesetzt und erhält hier zum ersten Mal einen bleibenden Rahmen. In den XL-Einheiten wurden doppelstöckige rollende Holztürme als private Rückzugsräume gezimmert. Durch das Anmieten von Jokerzimmern kann den Wohnraum mit externen Kinder- oder Arbeitszimmern ergänzt werden.
Das Zollhaus versteht sich als offenes Haus für das Quartier und als Statement gegen die Gentrifizierung. Die öffentlichen Nutzungen, welche etwas weniger als die Hälfte der Flächen einnehmen, sollen in die Wohnnutzungen greifen und mit diesen Synergien bilden. Einladend für die Öffentlichkeit präsentiert sich das Forum mit dem Restaurant und Improvisationstheater. Ein offenes Wohnzimmer für die Bewohner ohne Konsumationspflicht (tagsüber) mit Bühne für Veranstaltungen und anschliessender Terrasse erweitern die privaten Wohnräume. Eine Gemeinschaftspraxis, ein Kindergarten, Meeting- und Mehrzweckräume laden die Öffentlichkeit ins Haus. Kleine Gastro- und Gewerbebetriebe im Erdgeschoss beleben den Strassenraum.
Die speziellen Herausforderungen des Ortes wie der Lärm der Züge und der geringe Aussenraum auf Strassenebene lösten die Architekten Enzmann Fischer Partner AG klug: Oberhalb der öffentlichen und halböffentlichen Bereiche des Hauses A, welche über den zentralen Luftraum des Forums miteinander verbunden sind, liegt ein Innenhof mit Laubengangerschliessung welcher von den umliegenden Wohnungen über drei Geschosse begrenzt wird. Dieser intimere Aussenraum wird ergänzt durch eine grosszügige Dachterrasse mit weiter Rundumsicht. Wie bei den Wohnungen im Edelrohbau lautet auch hier das Motto «Aneignung erwünscht»: Nur ein Minimum an Ausbau wurde zur Verfügung gestellt und die Bewohner selbst trugen Stühle und Pflanzentröge bei. Ein Beet steht für Urban Gardening zur Verfügung.
Um den Kindern des Kindergartens im Dachgeschoss des Gebäudes C einen Aussenraum zum Spielen zu ermöglichen, wurde für diese die darüberliegende Dachterrasse ausgebaut. Die umzäunte Struktur ist von der Strasse aus gut sichtbar und inspiriert den aufmerksamen Passanten bereits von hier aus zur Verwunderung, welche Nutzung sich dahinter wohl verbergen mag.