„Alle unter einem Dach“-  

Arch_Tec_Lab, das soziale Forschungslabor der Zukunft 

 

Im September 2016 wurde das neue Forschungsgebäude des Instituts für Technologie in der Architektur auf der ETH Hönggerberg eröffnet. Der Neubau ist einzigartig in vielerlei Hinsicht: Das Konzept und die Planung wurden durch mehrere Professuren und einen Projektleiter durchgeführt. Die Nutzer planten ihr eigenes Gebäude. Der Bau vereint die neusten Technologien im Bauwesen und ist in sich ein gebauter und gelebter Prototyp. Digitale Fabrikation wurde erstmalig in diesem Ausmass anhand der Dachkonstruktion angewandt. Ein ganzes Institut unter einem Dach mit viel Gemeinschaftsfläche für Austausch und Interaktion durchbricht konventionelle Denkstrukturen. Sechs Hauptakteure erzählen vom Bauen der Zukunft aus ihrer Sicht, von ihren Forschungsfeldern und von deren Anwendung beim Arch_Tec_Lab.

 

 

DIE SINNLICHKEIT DER DIGITALISIERUNG

 

Prof. Fabio Gramazio und Prof. Matthias Kohler 

Professur für Architektur und Digitale Fabrikation

 

„Mit dem Roboter können wir Betonwände auf der Baustelle ohne Schalung bauen - das ist so elegant wie ökologisch.“ (Kohler)

 

Beim Betreten der Halle zieht das Holzdach sofort die Aufmerksamkeit auf sich. Ein beeindruckendes Regelwerk aus Holzstäben zieht in Wellen über die Köpfe hinweg. Es taucht den Raum in eine ruhige, warme Stimmung. 

 

Man würde nicht erwarten, dass diese stimmungsvolle Architektur Ausdruck einer digitalen Entwurfstechnik mittels Programmieren und robotischer Montage ist. Die Digitalisierung im Bauwesen kann die bestehende Baukultur bereichern und bringt eine Veränderung der Architektur und ihrer Räumen mit sich, so die These von Gramazio Kohler. Das Arch_Tec_Lab macht diese neue digitale Architektur erlebbar. 

 

Das Dach wurde Schicht für Schicht aus 48 624 Holzlatten aufgebaut, und jede genagelte Verbindung ist aufgrund der Algorithmen unterschiedlich ausformuliert. Durch die digitale Berechnung entstehen kleine Variationen, welche die Struktur und den Rhythmus des Daches beleben – trotz oder dank der Digitalisierung.

 

Bauverfahren für Wände und Stützen aus Beton ohne Verschalung werden derzeit am Lehrstuhl erforscht. Die Muster stehen wie Artefakte in der Halle. Sie verleiten zum Berühren. Wenn keine Schalungsbretter mehr nötig sind: Wie gerade müssen Wände dann noch sein? 

 

In der von Gramazio Kohler geprägten "digitalen Materialität" ist die Antwort zu suchen. Diese ist definiert durch die Art, wie Material verarbeitet werden kann. Diese führt robotischen Produktionsprozessen, welche gestalterisch gelenkt werden können und eine neue Architektur erschliesst. Man darf gespannt sein auf die Ausdrucksmöglichkeiten und Räume, die die Digitalisierung für die Architektur erschliesst. 

 

 

„Das Robotic Fabrication Lab ist ein Ort, wo aus Ideen die Bauprozesse der Zukunft entstehen. Wir denken und arbeiten an einer zeitgenössischen Theorie der Architektur; aber wir sind auch Macher, wollen unsere Ideen gebaut sehen!“ (Kohler)

 

 

EIN NEUES KREDO VEREINT

 

Prof. Sacha Menz 

Professor für Architektur und Bauprozess

 

„Ich bin stolz und liebe den Bau! Aber es hat Momente gegeben, an denen ich beinahe das Handtuch geworfen hätte.“

 

„Der Bau hat einiges bewegt. Er hat Wellen geschlagen bis über die europäischen Grenzen hinaus.“ Professor Menz wird als geistiger Vater des Arch_Tec_Lab gehandelt: Der Bau versinnbildlicht im Massstab 1:1 die gemeinsame Vision des Instituts für Technologie in der Architektur. Die Professuren sind sich einig: „Wir können das Bauen nicht neu erfinden, aber am Bauen forschen und die Zukunft des Bauens ergründen.“ Ohne interessierte Partner in der Industrie ist dieser Brückenschlag zwischen Forschung und Handwerk jedoch nicht möglich. Das Lab lädt daher die Industrie zum regen Austausch ein.

 

Die Digitalisierung, welche vermehrt Einzug auf diversen Ebenen der Bauprozesse hält, soll ebenso stark gewichtet werden, wie der nachhaltig reduzierte Einsatz von Energie, Materialien und Landressourcen. Dieses gemeinsame Kredo führte zu einem gemeinschaftlichen Planungsansatz, welcher wiederum neue Planungs- und Fabrikationsprozesse generierte. 

 

Der Digitalisierung gegenüber steht die soziale Interaktion, welche durch einen erhöhten Anteil an Gemeinschaftsfläche zu Lasten der Zellenbüros stattfindet. "Wo früher Doodle nötig war, da begegnet man sich jetzt so." Durch den offenen Gemeinschaftsraum finden unzählige informelle Gespräche statt, die den Austausch zwischen den Disziplinen innerhalb des Arch_Tec_Lab beschleunigen. Teile dieses Raums können durch Ausstellungen oder Experimente genutzt oder durch Möblierungen personalisiert werden. Dieser Umgang mit Autonomie, Kommunikation und Offenheit widerspiegelt den hier herrschenden Forschungsgeist. 

 

"Wenn wir das Bauen verändern wollen, dann ist das mehr als nur ein technologischer Schritt. Wir müssen dabei auch die menschlichen Eigenschaften und Anforderungen berücksichtigen."

 

  

DER MENSCH IN DER PLANUNG

 

Guido Züger 

Architektur und Gesamtleitung Planung

 

„Wir waren ein sehr gutes Team. Dadurch konnten Sachen entstehen, die sonst keine Chance hätten zu entstehen.“ 

 

Es mag erstaunen, dass am Eingang ins digitale Zeitalter, wo man angesichts der digitalen Vernetzung beschliessen könnte, von zu Hause aus zu arbeiten, man sich die physische Begegnung dennoch wünscht. Hier ist die Schwelle aufeinander zuzugehen niedrig, und man trifft sich - auch durch Zufall. „Da war das Bedürfnis: Alle unter einem Dach. Aber man hatte noch keine Ahnung, wie das Dach aussehen soll.“

 

Eine Spezialität im Planungsprozess des Holzdachs ist sein hohes Mass an Vorfertigung, sodass die Montage auf der Baustelle sehr rasch erfolgt. Das Dach integriert mehrere Funktionen, wie die Dachhaut, natürliche und künstliche Beleuchtung, die Raumakustik und die Sprinkleranlage. Schon in einer frühen Entwurfsphase wurden die entsprechenden Fachplaner hinzugezogen und Details ausgearbeitet. Das Gesamtpaket konnte somit bereits geprüft auf der Baustelle an die bestehende Struktur angedockt und die Technik einfach angeschlossen werden. Die spezielle Entwicklung der Dachplanung und des Herstellungsprozesses machten auch die frühe Wahl und den Einbezug des Holzbauunternehmers nötig. 

 

Vernetztes Denken und Kommunizieren, sowie der digitale Planungsprozess aller beteiligten Disziplinen am Modell brachte alle Beteiligten enger zusammen. Es wurde transparent und im Sinne des Projektes gedacht und gehandelt. 

 

„Auch dies ist eine elementare Erkenntnis: Die Voraussetzung für eine produktive Zusammenarbeit, ob mit digitalen Mitteln oder nicht, ist und bleibt eine intensive Kommunikation von Mensch zu Mensch.“ 

 

 

ULTRALEICHTE TRAGSTRUKTUREN 

Prof. Dr. Philippe Block 

Professor für Architektur und Tragwerk an der ETH Zürich 

 

„This building functions really well! Here we can imagine the future.“

 

Professor Block ist Mitglied des Instituts für Technologie in der Architektur und eines der Kernmitglieder des Nationalen Forschungsschwerpunkts NCCR in digitaler Fabrikation. „Das Gebäude reflektiert die Offenheit und die Wichtigkeit, die wir als Institut der Zusammenarbeit und dem Gedankenaustausch geben. Es ist ein extrem soziales Gebäude.“  

 

Blocks Team beschäftigt sich mit der Entwicklung von Strukturen, welche um vieles leichter sind als herkömmliche Tragwerke. Sie blicken auf einfache Strukturen aus der Baugeschichte zurück, beispielsweise einen Bogen als statisches Element: „Wir versuchen auf effizientere Art zu bauen“. 

 

Zur Zeit forscht das Team unter anderem zusammen mit Professor Dr. Arno Schlüter an einer Bodenplatte, die aus nur zwei Zentimeter starkem, nicht-armiertem Beton besteht, und worin die ganze Gebäudetechnik integriert ist. Man stelle sich vor, was dies hinsichtlich der Dimension eines mehrstöckigen Gebäudes bedeutet: Man gewinnt alle drei bis vier Stockwerke ein zusätzliches Geschoss! Die Schalloptimierung wird in diesem Fall durch die Steifigkeit des Materials erzielt wie in der Luftfahrt und nicht, wie bis anhin, durch Masse. 

 

Nebst der theoretischen Entwicklung ermöglicht das Arch_Tec_Lab auch Tests an Prototypen im Massstab 1:1 in der Robotikhalle im unteren Stock. Das Arch_Tec_Lab selbst stellt das weltweit grösste je realisierte Projekt digitaler Montage dar, und zeigt eine Reihe innovativer Forschungsergebnisse im Tragwerkbau. 

 

„In prototypischen Anwendungen möchten wir zeigen, dass dies nicht nur wilde akademische Ideen sind, sondern, dass wir auch tun, was wir sagen.“ 

 

 

DER EMISSIONSFREIE BETRIEB

 

Prof. Dr. Arno Schlüter 

Professor für Architektur und Gebäudesysteme an der ETH Zürich

 

„Das Schweizer Umfeld ist sehr gut. Da sind ein Wille und ein Wunsch nach Innovation vorhanden.“

 

Die Forschung neuer Gebäudetechnologien hatte früher eine eher untergeordnete Bedeutung. Seit die Themen Energiewende und Nachhaltigkeit an Gewicht gewonnen haben, findet ein Wandel in deren Bedeutung statt. Das Wissen um diese Technologien ist vorhanden, die Integration durch Architekten und Planer jedoch noch nicht selbstverständlich. „Nachhaltigkeit und Energie müssen nebst Städtebau, Konstruktion, Ökonomie und anderen ein gleichwertiger Parameter in Entwurf und Planung werden. Die Kernfrage, die sich aufdrängt ist: Wie wandeln sich die Architektur und das Bauen?“

 

„Zero Emission LowEx“ heisst das an der ETH unter Professor Hansjürg Leibundgut entwickelte Konzept für die Gebäudetechnik, welche auch beim Arch_Tec_Lab einen möglichst emissionsarmen Betrieb des Gebäudes sicherstellt. Am Beispiel der Wärme- und Kälteversorgung bedeutet dies, dass das Gebäude an das ‚Anergienetz’ des Campus ETH Hönggerberg angeschlossen wird. Somit kann der Bau von Erdwärmespeichern und der Abwärme umliegender Gebäude profitieren. 

 

Mit der Erstellung des Arch_Tec_Lab ist es in Bezug auf Nachhaltigkeit und Energie aber noch nicht getan: Teilbereiche des Gebäudes können in einen Forschungsmodus versetzt werden. Dieser erlaubt die Regelung bestimmter Teilsysteme und die Aufzeichnung und Auswertung von Daten, um einen effizienten und komfortablen Betrieb zu ermöglichen.  

 

„Forschung am Gebäude zu erproben ist wichtig. Ein Gebäude und seine Nutzer sind gnadenlos: entweder es funktioniert, oder es funktioniert nicht.“

 

 

DIE ORGANISCHEN STRUKTUREN DER ROBOTIK

 

Prof. Benjamin Dillenburger 

Assistenzprofessor für digitale Bautechnologien

 

„Der 3D Druck hat grosses Potential für die Architektur, denn er ist wohl die radikalste Ausprägung von digitaler Fabrikation.“

 

Die Forschung beschäftigt sich mit der Frage wie sich dreidimensionale Druckverfahren in der Architektur anwenden lassen. 3D Druck in der digitalen Fabrikation bedeutet, dass Material von einer programmierten Maschine zu bestimmten Objekten geformt wird. Im Idealfall bedeuten dadurch komplexe Bauteile und geringe Stückzahlen keinen Mehraufwand mehr. 

 

Der Anspruch an Gebäude und deren Bauteile steigt ständig: „Wenn wir den Materialverbrauch optimieren, verschiedene Systeme platzsparend integrieren oder einfach neue ästhetische Wege gehen möchten, führt dies immer zu komplizierten Teilen. Hierfür kann sich der 3D-Druck hervorragend eignen.“ 

 

In der Fabrikation des Arch_Tec_Lab ist diese Art von 3D Druck noch nicht zur Anwendung gelangt. Muster dieser Fertigungsprozesse, deren Forschung sich zur Zeit hauptsächlich auf den Einsatz von Beton ohne Schalung konzentriert, sind jedoch zeitweise in der grossen Halle der Arch_Tec_Lab zu bewundern. Wie experimentelle Kunstwerke wirken die gedrehten Säulen und gekurvten Wandstücke. Man denkt an kunstvolle Korallenstrukturen beim Anblick der Decken-Panele, welche mit unfassbar wenig Materialstärke diverse Funktionen integrieren können. 

 

Mit der Digitalisierung der Architektur und der Bauprozesse scheint eine organisch anmutende Formensprache Einzug in die Architektur zu halten.

 

„Es ist gerade eine spannende Zeit für Architekten, in der wir aus diesem ungeheuren Potential sinnvolle Anwendungen entwickeln, die einen Mehrwert für die Architektur und den Bauprozess bedeuten.“  

(Britta Vodicka)